"Am Freitag habe ich die Woche hinter mich gebracht, dann zünde ich mir gern eine Tüte an", sagt ein 29-jähriger Student aus Erfurt. Nennen wir ihn Johannes. Mit einer "Tüte" meint er eine Cannabis-Zigarette. Johannes kifft regelmäßig, etwa ein Mal pro Woche.
Erfurt. Mit 17 Jahren fing er an: "Ich habe auch mal etwas Härteres ausprobiert, aber das ist nichts für die Dauer", schränkt er ein, denn er sei sich schon bewusst, dass Drogenkonsum schlimme Auswirkungen haben kann. "Gras ist ein netter Ausgleich zu dem immer stressiger werdenden Alltag in Europa", sagt der Student. Es gibt Phasen, in denen er fast täglich zum Joint greift; vor allem, wenn Prüfungen anstehen. "Dann setze ich aber auch wieder für ein paar Wochen oder Monate aus", sagt er.
Johannes ist das, was häufig als "mündiger Konsument" bezeichnet wird. "Wenn ich merken sollte, dass es nicht mehr ohne geht, müsste ich mir ernsthafte Gedanken machen", meint er. "Die meisten Konsumenten sind sich über die Gefahren im Klaren. Süchtig werden kann man auch von den legalen Drogen Alkohol und Zigaretten. Ich kenne auch einige Studenten, die sport- oder spielsüchtig sind", sagt Johannes. Vor seinem Studium hat er in einer westdeutschen Großstadt gearbeitet, auch mancher Kollege griff zum Gras.
Das Rauchen von Cannabis ist für Johannes ein kleines Ritual, die Woche zu beschließen - so wie es bei anderen eine gute Flasche Wein sei; allein oder auch mit Freunden. Doch wegen dieses Rituals ist Johannes schon einige Male in Konflikt mit dem Gesetz geraten. "In den deutschen Bundesländern gibt es unterschiedliche Grenzen des Eigenbedarfs; in Thüringen ist die Menge allerdings sehr niedrig", sagt er. Die Fachstelle für Suchtprävention in Thüringen hält mündigen Konsum für möglich: "Drogen sind generell nicht zu verharmlosen, da sie psychisch und zum Teil auch körperlich abhängig machen können, aber zu Schäden führen die unterschiedlichen Konsum-Muster: Man kann auch Kokain unauffällig konsumieren und von Cannabis abhängig werden", sagt Marina Knobloch vom Fachverband Drogen- und Suchthilfe. "Wir denken, dass der Großteil der erwachsenen Bevölkerung auch mit anderen Drogen als Alkohol verantwortungsvoll umgehen kann, wie zum Beispiel Cannabis."
"Wie bei Alkohol wird es aber auch Personen geben, die davon krank werden, weil sie ihre Grenzen überschreiten. Eine Entkriminalisierung beziehungsweise staatlich kontrollierte Legalisierung zum Beispiel von Cannabis würde die Gesundheitsgefahren beim Konsum der Droge verringern, da Dosis und Qualität des Produkts bekannt sind. Gefährliche Beimischungen und Überdosierungen gäbe es nicht", erklärt sie.
Allerdings müssten Kinder und Jugendliche besonders geschützt werden, und außerdem bedürfe es umfassender Präventionsmaßnahmen: "Entkriminalisierung ohne deutlichen Ausbau der Verhältnis- und Verhaltensprävention geht nicht", sagt die Expertin.
"Für unser Kokain wird in Mexiko gemordet"
Die Thüringer Polizei fährt nach aktueller Gesetzeslage eine Null-Toleranz-Strategie gegen Rauschgiftkriminalität. Gerade am Erfurter Hauptbahnhof berichten Pendler von häufigen Polizeikontrollen zu nächtlicher Stunde. Wer mit Cannabis erwischt wird, muss in jedem Fall mit einer Anzeige rechnen. Wenn der THC-Gehalt der mitgeführten Menge jedoch unter 7,5 Gramm liegt, kann der Staatsanwalt das Verfahren einstellen.
Die Zahlen sind alarmierend: Seit Beginn der Erfassung stieg die Zahl der Rauschgiftdelikte stetig an und lag zuletzt bei 8784 Fällen im Jahr 2012. Fast 50 Kilogramm Haschisch wurden 2012 sichergestellt. Doch unter Streetworkern und Sozialarbeitern gilt momentan Crystal Meth, ein Methamphetamin, als größte Problemdroge. Neun Menschen starben 2012 durch Rauschgift.
Grüne Jugend : "Die Prohibition ist gescheitert und mit viel Leid verbunden; nicht nur bei uns, sondern auch und ganz besonders in den meisten Drogenanbaugebieten weltweit, wo ein aussichtsloser und brutaler Krieg gegen Drogen geführt wird. Deswegen müssen wir uns grundlegend umorientieren und Legalisierungskonzepte ins Auge fassen", riet daher Eva Pfannerstill 2013, als die Nachwuchspartei unter dem Titel "Selbstbestimmung statt Sanktion" einen drogenpolitischen Vorstoß wagte.
Darin reklamiert die Nachwuchspartei Drogenpolitik als "urgrünes Thema" und fordert ein radikales Umdenken. "Wir wollen mündigen Konsum aus der Schmuddelecke holen", heißt es. Nach Gesprächen mit den Thüringer Grünen folgten kürzlich Anfragen der Fraktionsvorsitzenden Anja Siegesmund an den Landtag. Es "fehlen alternative Ansätze, zum Beispiel die Entkriminalisierung von Drogenkonsum, zur Prävention, Hilfe und Schadensminderung", kritisiert sie darin die restriktive Drogenpolitik der Landesregierung.
Die von der Grünen Jugend geforderten Drugchecking-Angebote und die Entkriminalisierung des Hanfanbaus für den Eigenbedarf finden Erwähnung. Unter Drugcheck verstehen sie staatliche Substanzkontrolle, damit keine gefährlichen Mixturen konsumiert werden.
Die Jungpolitiker schlagen vor, Drogenkonsumräume einzurichten. "Dort soll Ausstattung für den Konsum von Heroin, Kokain und anderen Derivaten bereitstehen, um so das Risiko von Infektionen für die Konsumenten zu minimieren, beispielsweise sterile Spritzen und Handschuhe", sagt Martin van Elten, Sprecher der Grünen Jugend.
Die Jungpolitiker argumentieren, dass Drogen und Rausch, darunter natürlich auch Alkohol und Zigaretten, schon seit jeher gesellschaftlicher Bestandteil unserer Kultur sind. Selbst die Kaffeebohne sei einst verboten gewesen. Das Drogenverbot habe Schwarzmärkte gefördert und staatliche Ressourcen gekostet. "Es ist unser Kokain, für das in Mexiko gemordet wird", heißt es wortstark in dem Beschluss. Als landespolitischer Schritt wird eine Erhöhung der Grenzwerte für straffreien Besitz gefordert.
SPD: Selbst Gesundheitsexperte Thomas Hartung von der SPD lenkt ein: "Gerade auch aus meiner Sicht als Mediziner ist das Verbot von Cannabis nicht mehr zeitgemäß", erklärt er. Zwar arbeite die Thüringer SPD noch an ihrem Wahlprogramm, aber er könnte sich durchaus vorstellen, dass Gesprächsbereitschaft signalisiert wird. "Meiner Ansicht nach ist ein gesellschaftliches Umdenken nötig; selbst in Bundesstaaten der USA wurden die Gesetze gelockert."
Piraten: Ein natürliches Recht auf Rausch ist Bestandteil der Leitlinien der Thüringer Piraten. Dieses könnte, ihrer Ansicht nach, über einen Volksentscheid diskutiert werden. "Jeder Bürger sollte frei darüber entscheiden können, ob, in welcher Weise und mit welchen Hilfsmitteln man sein Alltagsbewusstsein verändert oder erweitert und zu welchem Zweck dies geschieht", heißt es in der Leitlinie. Diese Position sei auf einer Zusammenarbeit mit Sozialarbeitern, Sanitätern, Ärzten und Polizisten erarbeitet worden.
Eine grundsätzliche Freigabe aller Drogen lehnen die Piraten in Thüringen zum gegenwärtigen Zeitpunkt ab. "Beginnen wollen wir mit den sogenannten 'weichen Drogen' und damit dann Erfahrungen sammeln. Konsequenterweise muss es Ziel sein, alle Drogen zu entkriminalisieren und unter staatlicher Kontrolle zu haben", erklären die Piraten auf Anfrage. Auf ihrer Agenda steht daher, die Forderung einer allgemeinen gesetzlichen Regelung zur Straffreiheit von Mindermengen zum Eigenbedarf. Sie möchten zudem den Handel mit Drogen unter staatliche Kontrolle setzen und die Gewinne in Information, Aufklärung und Suchtbehandlung investieren. Die Freigabe solle jedoch nach einer Testphase von wissenschaftlicher Seite evaluiert werden.
Durch das momentane Verbot würden extrem hohe Preise auf dem Schwarzmarkt erzielt. "Die Streckmittel verursachen meist noch einen höheren Schaden bei den Konsumenten als die Drogen selbst. Eine Legalisierung bekämpft wirksam die organisierte Drogenkriminalität. Nicht nur die, sondern auch die Beschaffungskriminalität kann auf Null gesenkt werden", heißt es in einer Stellungnahme.
Seit diesem Jahr erlauben zwei Bundesstaaten der USA, Colorado und Washington, den Konsum und Anbau von Marihuana. Auch in Uruguay wurde der Drogenmafia kürzlich durch legalen Handel mit Marihuana der Kampf angesagt.
Marihuana in einigen Ländern legalisiert
"Ein Krieg gegen Drogen (war on drugs) ist nicht zu gewinnen. Menschen konsumieren trotz Verboten und drastischen Strafen Drogen. Daher muss der Umgang mit Drogen nicht tabuisiert oder kriminalisiert werden. Das setzt eine konsequente Bildung und Aufklärung voraus", resümiert die Piratenpartei.
Die Linke: Im Vorfeld der Bundestagswahl verabschiedete die Bundes-Linke in ihrem Programm auch einige Punkte zur Drogenpolitik. Auch sie fordert eine Entkriminalisierung sowie eine Regulierung: "Die Linke setzt sich dafür ein, den Anbau von Cannabis zum eigenen Bedarf zu genehmigen sowie Cannabis-Clubs auf nichtkommerzieller Basis zu erlauben. Dabei müssen der Jugendschutz sowie ein entsprechendes Werbeverbot gesichert sein. Wir wollen die Möglichkeiten erleichtern, Cannabis als Arzneimittel medizinisch einzusetzen und zu erforschen", lauten zentrale Forderungen. Unter Cannabis-Clubs verstehen sie nach spanischem und belgischem Vorbild einen nicht kommerziellen Zusammenschluss Volljähriger, die zur Eigennutzung selbst Cannabis anbauen.
CDU: Eine Legalisierung von Drogen wird es mit der CDU nicht geben. "Experten haben bewiesen, dass regelmäßiger und intensiver Gebrauch von Cannabis zu psychischen und körperlichen Erkrankungen führen kann", sagt der Thüringer CDU-Gesundheitsexperte Manfred Grob und bezieht sich dabei auf die Forschungen Professor Rainer Thomasius, der Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen ist. Die CDU habe vor allem den Schutz von Kindern und Jugendlichen im Blick: "Cannabis erhöht das Risiko von Schulversagen und Entwicklungsstörungen". Die aktuelle Gesetzeslage schütze nicht nur den Einzelnen, sondern auch die Allgemeinheit, insbesondere die Jugendlichen. Beim Betäubungsmittelstrafrecht gehe es um den Schutz vor organisierter Kriminalität und dass die internationale Zusammenarbeit bei der Suchtstoffkontrolle gewährleistet wird.
FDP: Zu diesem Thema braucht es eine ergebnisoffene, breite Diskussion in der Gesellschaft, findet Marian Koppe von der FDP. Eine generelle Legalisierung lehnt die Partei derzeit aber ab: "Als nächstes wäre dann Heroin in der Diskussion." Allerdings befürwortet der Gesundheitspolitiker die Verwendung von Cannabis im medizinischen Bereich.
Auf die Wahlkampffahne hat sich bisher keine Partei das Thema Drogenpolitik geschrieben. Ob in den kommenden Jahren der von einigen Parteien geforderte Paradigmenwechsel einsetzt, bleibt abzuwarten. In Berlin jedenfalls gibt es einen Antrag der Grünen für ein Modellprojekt zur Schaffung eines Coffee-Shops in Kreuzberg
Als Betroffener würde Johannes trotzdem nicht gleich eine Legalisierung, wie sie manche Partei fordert, durchsetzen wollen. "Ich würde mir wünschen, dass Cannabis-Konsum entkriminalisiert wird. Dann hätten Polizei und Gerichte weniger zu tun. Auf eine Legalisierung müsste die Gesellschaft aber erst vorbereitet werden", sagt er.
Zur Sache: Kleines Drogenlexikon
Cannabis: wird aus der Hanfpflanze gewonnen, der Inhaltsstoff THC wirkt sedierend
Marihuana: auch Gras genannt, getrocknete Blätter der Cannabis-Pflanze
Haschisch: auch Dope genannt, wird aus Harz der Cannabis-Blüte gewonnen
Joint: Selbst gedrehte Zigarette, enthält Cannabis
Kiffen: Rauchen des Joints
Crystal: verbreitete synthetische Szenedroge, die aufputschend wirkt
Julia Stadter