Erfurt.Die Einladung führt durch das herrschaftliche Haus zum Güldenen Rade und dann in die Tabakmühle. Der Tagungsraum ist anmutig und beinahe zu klein für die vielen Interessenten. Der Name schreckt nicht. Dass Rauchen die Gesundheit schädigt, steht außer Frage und ist hier kein Thema.
Es geht um das große Ganze, um die Idee einer Bürgerversicherung und um die Gesundheitspolitik für Thüringen. Und so halten sich die Diskutanten unter der Moderation von TA-Chefredakteur Paul-Josef Raue gebührend kurz beim Vorschlag von FDP-Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr auf, die privaten Krankenkassen für alle Versicherten zu öffnen.
Es geht hier um die Mehrheit der Menschen in Thüringen - und die gehören gesetzlichen Krankenkassen an. Für alle fordert der Leiter der Thüringer Vertretung vom Verband der Ersatzkassen, Arnim Findeklee, gleiche Wettbewerbsbedingungen und eine einheitliche Aufsicht.
Es fehlen Anreize für Ärzte auf dem Land
Bei den Problemen für Thüringen im Gesundheitswesen und möglichen Lösungen sprechen die Kandidaten der Parteien ganz verschiedene Aspekte an. Steffen-Claudio Lemme (SPD), der im Kyffhäuserkreis, Sömmerda und Weimarer Land für den Wiedereinzug in den Bundestag kämpft, sieht eine "recht gute, flächendeckende Versorgung mit Haus- und Fachärzten". Allerdings gebe es sehr wohl Regionen, in denen es kritisch sei. Lemme bemängelt, dass es keine einheitliche Ärzte-Honorarordnung für Patienten privater und gesetzlicher Krankenkassen gibt und sagt: "Gerade dadurch fehlen die Anreize auf dem Land. Hier brauchen wir mehr Mobilität von Ärzten und Patienten, damit sie zueinander kommen. Der öffentliche Nahverkehr ist da, wenn ich nur an Roßleben denke, kaum hilfreich." Lemme hält die mögliche Entlastung von Ärzten durch speziell weitergebildete Schwestern für unbedingt nötig.
Christian Gumprecht spricht für die Gesundheitspolitik der CDU im Thüringer Landtag. Er mahnt an, dass die Menschen Versorgungssicherheit vor allem eben auf dem Land für den Fall der Krankheit brauchen. Er sagt: "Der endlich eingerichtete Lehrstuhl für Allgemeinmedizin an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena und dessen Anbindung an Thüringer Arztpraxen ist dafür ein wichtiger Schritt. Außerdem müssen die Zugangsvoraussetzungen für das Medizinstudium geändert werden." Dem schließt sich die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag, Anja Siegesmund, trotz insgesamt unterschiedlicher Positionen an. Sie sagt: "Wer das Abitur mit einem Durchschnitt von 1,0 oder 1,1 macht, der wird nicht automatisch ein guter Mediziner. Die Universitäten können sich nicht allein daran orientieren. Hier braucht es Auswahlverfahren und Tests." Sie verweist außerdem darauf, dass die Gesundheitsvorsorge im Alltag bislang nicht gebührend beachtet wird. Hier genüge ein Schulobstprogramm eben nicht. Schließlich mahnt sie vernünftige Strukturen bei der Finanzierung der Krankenhäuser an.
Auch Karola Stange, Linke-Kandidatin für den Deutschen Bundestag in Erfurt, bemängelt die Nachwuchsprobleme bei Ärzten. Sie findet: "Wir sollten Wege finden, auf denen Quereinsteiger in ein Studium kommen können, wenn sie bereits im medizinischen Bereich gearbeitet haben." Die Nöte bei der Versorgung im ländlichen Raum möchte sie mit Sozialzentren in den größeren Orten lindern. Sie erinnert an das frühere Landambulatorium und sieht die Finanzierung bei Bund und Ländern.
Marian Koppe, der für die FDP im Thüringer Landtag sitzt, fordert "für "das Gesundheits- wesen mehr Gestaltungsmöglichkeiten der Länder, wobei auch die Versorgungsgebiete neu strukturiert werden sollten. Ein Gremium habe da jetzt die Arbeit begonnen.
Für die Piratenpartei spricht Andreas Kaßbohm, Spitzenkandidat für den Bundestag in Gotha und im Ilmkreis. Er sieht die "Grundlage der Zwei-Klassen-Medizin" darin, dass gesetzliche Kassen bei der Behandlung eine Fallpauschale zahlen und private Kassen die Einzelbehandlung. Der Arzt, der auch Unternehmer ist, würde verschieden heran gehen. Die Freude über die Wiedererfindung der Gemeindeschwester verbindet er damit, dass Hausarzt oder Klinik von ihr bestimmte Daten bekämen - und ist beim ureigenen Piratenthema, dem Breitbandnetz.
Thomas Engemann, Verband privater Anbieter sozialer Dienste: "Es gibt in Thüringen etwa 400 ambulante Pflegedienste mit mindestens vier Pflegefachkräften, häufig sind das ausgebildete Schwestern. Das ist ein Potenzial. "Für eine bes-sere Betreuung sollten niedergelassene Hausärzte und Pflegedienste zusammen arbeiten."
Prof . Dr. Reinhard Fünfstück, Chefarzt der Klinik Innere Medizin des Sophien- und Hufeland-Klinikums Weimar: "Wir dürfen bei allen Debatten nicht vergessen, dass wir zuerst über kranke Menschen und nicht über Geld sprechen. Wir müssen überlegen, ob die Trennung von niedergelassenem Arzt und Krankenhaus noch zeitgemäß ist."
von Ute Rang