Vor einem möglichen Ärztestreik
Von Hartmut Kaczmarek und dapd
Erfurt/Berlin. Für Jörg Kubitzki, den Gesundheitsexperten der Linksfraktion, ist es unklar, warum die Krankenkassen die Ärztehonorare nicht weiter anheben wollen. Einerseits jubelten die Kassen über erzielte Überschüsse in Milliardenhöhe, andererseits solle ein erneuter Anstieg der Ärztevergütungen verhindert werden. "Bei der ganzen Diskussion darf es nicht zu einer Gefährdung der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung kommen", so Kubitzki. Die Gefahr, dass auch in Thüringen demnächst viele Praxen geschlossen bleiben, vergrößert sich von Tag zu Tag. Gestern sind die Verhandlungen zwischen Ärzteschaft und Kassen zunächst geplatzt, ein neuer Anlauf soll jetzt am 15. September unternommen werden. In der Zwischenzeit wollen Ärzteverbände ihre Mitglieder befragen, ob sie zu einem Streik bereit sind. Kubitzki bringt noch eine andere Idee in die ganze Debatte ein. Die jetzt laufenden Honorarverhandlungen sollten genutzt werden, um eine bessere Vergütung der Landärzte zu erreichen. Gerade auf dem Land fehlen auch in Thüringen zunehmend die Mediziner. Und noch etwas fordert Kubitzki: "Wenn die Honorare der Ärzte angehoben werden, muss die höhere Vergütung auch bei dem Personal der Arztpraxen ankommen." Verständnis für die heftige Reaktion der Ärzteschaft auf das Angebot der Kassen, die Honorare um lediglich 0,9 Prozent anzuheben, hat der Thüringer FDP-Gesundheitsexperte Marian Koppe. Er verweist auf die gestiegenen Praxiskosten der Ärzte einerseits und die gewachsenen Rücklagen der Krankenversicherungen andererseits. "Die Politik versucht verzweifelt, Ärzte auf das Land zu holen, den Arztberuf finanziell attraktiver zu gestalten und von Bürokratie zu befreien. Und dann stellen sich am Ende die Kassen einfach quer", so Koppe. Alarmierend ist für ihn, dass die Ärzte sogar zum äußersten Mittel, nämlich der Praxisschließung, greifen wollen. Die Situation sei problematisch, auch wenn die
gesetzlichen Regelungen sicherstellten, dass kein Patient mit dringendem Behandlungsbedarf abgewiesen werden dürfe.
Fronten sind verhärtet
Die Fronten sind in dem Streit verhärtet. Die Ärzteverbände kündigten an, ab kommender Woche "erste harte Maßnahmen" einzuleiten, auch Streik ist nicht ausgeschlossen. Der Spitzenverband der Krankenkassen (KBV) klagte über "inakzeptable Äußerungen" der Ärzte-Funktionäre. Gesundheitsminister Daniel Bahr
(FDP) mahnte, den Streit "nicht auf dem Rücken der Patienten auszutragen. Die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) verhandeln seit Wochen mit der KBV über die Honorare der rund 150 000 niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten für das kommende Jahr. Am Freitag hatte der Erweiterte Bewertungsausschuss mit einem Schlichterspruch entschieden, die Zuweisungen um 270 Millionen Euro zu erhöhen. Je Arzt bedeutet das ein Plus von etwa 1800 Euro im Jahr. Die KBV hatte jedoch 3,5 Milliarden Euro mehr gefordert und reichte vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Klage gegen die Entscheidung ein. Damit ist der Beschluss zunächst nicht rechtskräftig. Die Kassen wollten bei den Verhandlungen ursprünglich eine Honorarkürzung um 2,2 Milliarden Euro erreichen.