"Was wirkungslos ist, gehört abgeschafft", so die Forderung der Thüringer Gesundheitsministerin Heike Taubert. Als wirkungslos erwies sich die 2004 eingeführte Praxisgebühr. Deshalb macht sich Thüringen nun für eine Abschaffung der Praxisgebühr stark.
Erfurt. Die Patienten in Deutschland haben sich schon daran gewöhnt. Mittlerweile zücken sie ohne Murren beim ersten Arztbesuch im Quartal ihren Geldbeutel und legen mit der Versicherungskarte gleich den Zehn-Euro-Schein mit auf die Theke. Für viele, gerade Einkommensschwache, sind die zehn Euro trotzdem eine Belastung. Und für die Ärzte, die sie einkassieren und gleich an die Kassen weiterleiten müssen, eine Quelle steten Ärgernisses.
2004 wurde sie eingeführt, damals unter einer rot-grünen Regierung, aber auch mit Zustimmung der Union. Ursprüngliches Ziel war es, die Zahl der Arztbesuche zu verringern. Außerdem sollten die Krankenkassen finanziell entlastet werden. Mittlerweile erwirtschaften die Kassen aber Überschüsse und werben mit zusätzlichen Leistungen um Patienten. Die Hoffnung, dass die Deutschen weniger zum Arzt gehen, hat sich ebenfalls nicht erfüllt. Statistisch gesehen gehen die Bundesbürger trotz Praxisgebühr 17,1 Mal pro Jahr zum Arzt. Das entspricht dem Niveau vor Einführung der Gebühr. "Zu Unrecht werden die Patienten deshalb mit 2,6 Milliarden Euro pro Jahr belastet", meint Marian Koppe , der Gesundheitspolitiker der FDP. Und das zusätzlich zu den Kassenbeiträgen, die sie ohnehin zahlen. Eine Abschaffung würde sich auch positiv für die Mediziner auswirken. Denn die Ärzte, so haben statistische Erhebungen ergeben, verwenden pro Jahr etwa 120 Stunden für die Erhebung und Quittierung der Praxisgebühr. "Mit der Abschaffung würden sie um 360 Millionen Euro an überflüssigen Bürokratiekosten für ein wirkungsloses Instrument entlastet", rechnet Koppe vor.
Arztbesuche nehmen nicht ab
Bei der Konferenz der Gesundheitsminister stritt Thüringens Ministerin Heike Taubert (SPD) für eine Abschaffung der Praxisgebühr. Ihr Hauptargument: "Was wirkungslos ist, gehört abgeschafft." Die Forderung wird von insgesamt zehn Bundesländern unterstützt. Damit der Antrag der Bundesregierung zugeleitet werden kann, müssen sich 13 Länder für den Vorschlag aussprechen. SPD, Grüne und Linke, die für die Abschaffung sind, regieren derzeit sieben Länder. Für die übrigen Stimmen setzt Hamburg sowohl auf die fünf "neutralen Länder", die von einer Großen Koalition regiert werden, als auch auf die vier schwarz-gelb geführten Länder.
Für Anja Siegesmund , die Fraktionschefin der Grünen im Landtag, ist klar, dass die Bundesregierung nur wegen der steten Einnahmen an der Praxisgebühr festhalte, "und das, obwohl es Hinweise gibt, dass bei einkommensschwachen Versicherten auch subjektiv notwendige Arztbesuche aufgeschoben werden." Eine Praxisgebühr wäre auch überflüssig, wenn mit einer Bürgerversicherung, wie sie die Grünen vorschlagen, der Einstieg in eine gerechte und dauerhaft sichere Finanzierung des Gesundheitssystems erreicht werde, argumentiert Siegesmund. Auch die Linkspartei in Thüringen ist gegen die Praxisgebühr. Gesundheitspolitiker Jörg Kubitzki erklärte, schon die Einführung sei eine Fehlentscheidung gewesen.
Trotz Praxisgebühr ist die Zahl der Behandlungsfälle von rund 473 Millionen im Jahr 2004 auf 564 Millionen im Jahr 2009 gestiegen. Die mit der Praxisgebühr erzielten Einnahmen von etwa 1,5 Milliarden Euro werden durch zahlreiche, zum Teil versteckte Kosten, deutlich relativiert. Sowohl der bürokratische Aufwand der Einziehung und Verrechnung beim niedergelassenen Arzt, als auch die nachgehende Eintreibung durch die Krankenkassen sowie der Aufwand der Befreiung von der Praxisgebühr werden in verschiedenen Quellen mit 360 bis 500 Millionen Euro angegeben.
Die FDP plädiert geschlossen für das Aus der Zehn-Euro-Zahlung, konnte sich aber auf Bundesebene bisher nicht gegen die Union durchsetzen. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hat immer wieder betont, die Abschaffung stehe "nach wie vor auf der Agenda".