Nur nach und nach schaffen es die Thüringer Gemeinden, Wahllokale zu finden, die auch Gehbehinderte nicht aussperren. In Wahlgesetzen ist Barrierefreiheit eine Soll-Bestimmung, kein Muss.
Erfurt. Karola Stange sagt, dass Behinderte ein Recht darauf haben, ins Wahllokal zu gelangen. Ohne Hilfspersonen. Weshalb die Erfurter Linke-Landtagsabgeordnete für den Urnengang am 22. April "flächendeckende Barrierefreiheit von Wahllokalen in ganz Thüringen" fordert. Ein zähes Geschäft.
Zur Oberbürgermeisterwahl in Eisenach seien 14 von 43 Wahllokalen barrierefrei, meldete eine Zeitung dieser Tage und fand, das sei eine gute Nachricht. Mehr als die Hälfte, das wäre gut, erklärt Inge Weigel vom Landesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte. Sie ist im Wartburgkreis die Behindertenbeauftragte und versichert, in ihrem Landkreis wäre man schon so weit. Nach Jahren intensiver Bemühungen. Natürlich bekomme man nicht jedes Wahllokal so hin, dass es, wenigstens am Wahltag, auch für Gehbehinderte nutzbar ist, sagt die Beauftragte. Aber wo ein Wille sei . . . Manchmal liehen auch Sanitätshäuser Treppensteiger und -lifte aus, "die sind da sehr offen".
In der Landeshauptstadt wird Barrierefreiheit für 49 Prozent der 104 Wahllokale vermeldet. Man nutze bewusst Seniorenheime, Förderschulen, Behindertenwerkstätten und integrative Kindereinrichtungen, lässt sich Wahlleiter Rainer Schönheit zitieren. Auf den Wahlbenachrichtigungsscheinen erscheine dann das Rollstuhlsignet. Und wo das nicht möglich sei, nun ja, dann bleibe die Briefwahl als Alternative.
"Das Argument Briefwahl kenne ich, das kann ich schon nicht mehr hören", fährt Marian Koppe hoch. Der FDP-Landtagsabgeordnete aus Königsee im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt findet, die Verwaltungen sollten da sensibler sein. Für viele sei die Wahl ein wichtiger, fast feierlicher Akt, den sie nicht daheim auf dem Sofa erledigen wollen. Warum, fragt Koppe, werde nicht die Turnhalle genutzt, wenn die Schule nebenan nur über steile Stufen erreichbar ist?
Wahllokale müssen gewisse Kriterien erfüllen, erläutert Catrin Heinrich, Sprecherin der Stadt Gera. Sie sollen im Stimmbezirk möglichst zentral liegen, brauchen eine gewisse Größe und sollten tunlichst auch keine Mietkosten verursachen. Gera arbeite intensiv daran, dem Kriterium Barrierefreiheit mehr Geltung zu verschaffen.
Mit einigem Erfolg. Zur Landtagswahl 2009 war für Geraer Rollstuhlfahrer an fast zwei Drittel der 64 Wahllokale vor der Tür Feierabend. Am Sonntag nächster Woche werden schon 48 Prozent barrierefrei sein. "Wir sind auf dem Weg zur barrierefreien Stadt", sagt die Behindertenbeauftragte Christine Morgenstern. Bis 2030, so wolle es die "integrierte Stadtentwicklungskonzeption", sollen Blindenleitsysteme, ausreichende Behindertenparkplätze, abgesenkte Bordsteine und auffällige Pollermarkierungen letztlich auch der Bevölkerungsentwicklung Rechnung tragen. Eine Heidenarbeit, das gehe nicht von heut auf morgen.
Auch drei Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention nicht. Die Linke-Politikerin Stange will Barrierefreiheit als Verpflichtung in die Thüringer Wahlgesetze schreiben lassen. Sie ist damit schon einmal an der Landtagsmehrheit gescheitert.
Volkhard Paczulla / 14.04.12 / OTZ