In Thüringen ist die Organisation von Integrationskursen für Zuwanderer besonders in Randgebieten schwierig, weil im Freistaat nicht genügend Teilnehmer zu finden sind. Eine paradoxe Erscheinung, warten bundesweit doch tausende von Migranten darauf, einen solchen Kurs besuchen zu können.
Bad Lobenstein. Auf dem Tisch liegen Familienfotos. Für die um die Bilder versammelten sieben Frauen und drei Männer, Spätaussiedler und Asylantragsteller aus Kasachstan, Aserbaidschan und Georgien, hat der Integrationskurs in Bad Lobenstein gerade erst begonnen. Sie stellen sich und ihre Familien vor.
Bis zum Herbst werden sie fast täglich fünf Stunden miteinander Deutsch lernen, insgesamt 600 Stunden Basis- und Aufbaukurs plus 45 Stunden Orientierungskurs mit Wissen zur Rechtsordnung, Geschichte und Kultur Deutschlands. Träger des Kurses ist die Volkshochschule (VHS) Weimarer Land in Kooperation mit der Volkshochschule Saale-Orla-Kreis. Solche Kooperationen ermöglichen es dem Thüringer Volkshochschulverband (TVV), Integrationskurse in Randgebieten anzubieten.
"Die sprachliche Integration ist eine gute Grundlage, um sich beruflich zu etablieren und am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können", sagt Arnold Speiser von der VHS Weimarer Land. Seit fünf Jahren gibt es deshalb die speziellen Integrationskurse, auch Grundlage für die Einbürgerung beziehungsweise für die Entscheidung über die Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung. Der Andrang ist groß. Bundesweit besuchen zurzeit 140.000 Migranten insgesamt 16.000 Integrationskurse. Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg warten allerdings rund 9000 weitere Migranten, in der Mehrzahl Türken, auf eine Aufnahme. Der Deutsche Volkshochschulverband erwartet keine schnelle Lösung, sondern bis Ende des Jahres ein Anwachsen auf 20.000.
In Thüringen ist die Situation dagegen anders. Hier wohnen derzeit etwa 48.000 ausländische Bürger aus rund 150 Herkunftsstaaten. "Wir haben hier eher das Problem der kleinen Zahlen", sagt Wolfgang Volkmer vom TVV. Das heißt, es ist mitunter schwierig, genug Teilnehmer zu bekommen, um einen Kurs zu beginnen und dabei wirtschaftlich zu bleiben. Denn: "Wir sind auch dem Steuerzahler verpflichtet." Eine Unterrichtsstunde kostet 2,35 Euro, davon zahlen die Teilnehmer, wenn sie über eigenes Einkommen verfügen, einen Euro selbst.
Zusätzlich erschwert eine Änderung im Zulassungsverfahren seit dem Spätsommer die Arbeit. Wer jetzt eine Berechtigung erhält, muss nach der Neuregelung drei Monate warten, bis er mit einem Kurs beginnen kann. Dennoch bieten derzeit 17 von 23 VHS in Thüringen neben anderen Trägern Integrationskurse an, "viele davon in Randgebieten", so Volkmer. 2008 starteten in Thüringen nach BAMF-Angaben 97 Integrationskurse (2009: 93) mit 1327 neuen Teilnehmern (2009: 1220). Im ersten Halbjahr 2010 besuchten 542 neue Teilnehmer 45 neue Kurse. Über die Qualität der Kurse und Prüfungen wacht das BAMF mit exakten Vorschriften. Der Kursleiter ist nie der Prüfer.
Wer den Integrationskurs abbricht oder nicht besucht, obwohl er dazu verpflichtet ist, dem drohen durchaus Strafen. Die Ausländerbehörde kann Hartz-IV-Empfängern Bezüge kürzen und Bußgelder verhängen. In welchem Umfang es dazu bisher in Thüringen gekommen ist, wollte der FDP-Landtagsabgeordnete Marian Koppe von der Landesregierung wissen. Auf seine Kleine Anfrage im Landtag mit 15 Fragen erhielt er jedoch keine befriedigende Antwort. "Das zeugt von wenig Interesse bei der Landesregierung", meint er. "Das Sprachniveau am Ende des Kurses sollte zudem ausreichen, um einen Beruf nachzugehen", fordert er. Doch hier liegt ein Knackpunkt: Mit dem besten Abschluss (B 1) werden ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache nachgewiesen. "Damit kann ich einen Pass bekommen, nicht aber ein Vorstellungsgespräch bestreiten", sagt Speiser.
Deshalb hatte er die Idee, ein Praktikum in einem Unternehmen einzuschieben. Seit 2007 gibt es nun bei Thüringer Volkshochschulen das Modellprojekt "Vom Nebeneinander zum Miteinander". Der Kurs wird durch ein zweimonatiges soziales Sprachpraktikum in Einrichtungen und Firmen der Region unterbrochen. "Das erhöht die Motivation ungemein, wie wir feststellten", meint Speiser. Das Land gibt dafür finanzielle Unterstützüng. "Wir würden uns eine generelle Festlegung wünschen", hofft Volkmer.
Kursleiterin Sabine Wermig, die langjährige Erfahrungen mit Sprach- und Integrationskursen für Ausländer hat, bestätigt all ihren bisherigen "Schützlingen" eine hohe Motivation: "Lernen wollen sie alle", bekräftigt sie. Gerade in Bad Lobenstein, einer kleinen Stadt mit relativ viel Migranten, seien die Ausländer gut integriert. Das bestätigen Natalja Balcer und Olga Tschusowitin (beide aus Kasachstan), deren Kinder den Kindergarten und die Schule besuchen. "Sie haben deutsche Freunde. Wir wollen uns mit ihnen und unseren Nachbarn gut verständigen können", sagen die Frauen.