Spätfolgen autoritärer Erziehung sind Thema eines Kongresses im Landtag
Von Gerlinde Sommer
Erfurt. Viele Männer und Frauen, die als Kinder in DDR-Heime gesteckt worden sind, warten noch immer auf eine Rehabilitation, Schlimmer noch: Ihr Werdegang ist mit einem Tabu belegt. Sie leben am Rande, haben oft Probleme und dies sowohl psychischer, physischer und finanzieller Art. Helfen will nun ein Arbeitskreis auf Landesebene, dem neuerdings Reinhard Höppner vorsteht. Zudem widmet sich ein Kongress im Thüringer Landtag diesem Thema.
Wer als Kind zu DDR-Zeiten in ein Heim gesteckt wurde, steht noch heute bei vielen Mitbürgern unter dem Verdacht, dass es für diese Maßnahme vermeintlich gute Gründe gegeben habe. Die körperlichen Leiden, die viele dieser Heiminsassen erlitten haben, werden irrigerweise kleingeredet. Deshalb schweigen viele einstige Heiminsassen. Das soll sich ändern - und der Kongress im Landtag könnte für Umdenken sorgen. Am Freitag, 17. November wird ganztägig über DDR-Kinderheime und ihre Folgen für Kinder und Jugendliche informiert. Unter dem Titel "Zu bedingungsloser Unterwerfung unter die staatliche Autorität gezwungen", werden auf Einladung der Konferenz der Landesbeauftragten für Stasiunterlangen aller neuen Länder einschließlich Berlin Fachberichte aus Forschungsprojekten vorgestellt. So gibt es erste Ergebnisse aus einer Zeitzeugenbefragung durch das Bürgerbüro; es werden Unterschiede in den Lebenssituationen in den einzelnen Heimtypen und der Einfluss des Ministeriums für Staatssicherheit auf die Arbeit der Jugendhilfeausschüsse erörtert.
Die Heimerziehung - Autorität auf die bedingungslose Unterwerfung ausgelegt, wie es in einem Grundsatzurteil aus dem Jahr 2004 heißt - hat Spätfolgen hinterlassen. Darüber wird an Fallbeispielen aus der Beratungspraxis von Manfred May berichtet. Die Professorin Silke Britta Gahleitner, Sachverständige am Runden Tisch Heimerziehung, wird von den gesundheitlichen Folgeschäden bei ehemaligen Heimkindern sprechen. Ihr Sachverständigenkollege Professor Manfred Kappeler referiert unter dem Titel "Pädagogischer Zeitgeist und Erziehungsdiktatur" über "Parallelität und Ungleichzeitigkeit pädagogischer Konzepte in Ost und West". Schließlich geht es bei einer Podiumsdiskussion um die Heimkinder als Opfer der SED-Diktatur. Über die Wahrnehmung von Kinderheimschicksalen und Fragen nach Anerkennung und Entschädigung tauschen sich aus: Sozialministerin Heike Taubert (SPD), Frank Kuntzsch als ehemaliges Heimkind und heutiger Heimerzieher, Katharina Gajdukowa als Zeitzeugin und heutige Politikwissenschaftlerin, Gabriele Beyler als Vorsitzende der Initiativegruppe Geschlossener Jugendwerkhof Torgau und Professorin Birgit Bütow von der Fachhochschule Jena; Moderator ist Rainer Erices.
Höppners Berufung weckt Hoffnung
Ministerin Taubert hat einen Arbeitskreis Misshandlung/Missbrauch in ehemaligen DDR-Kinderheimen und Jugendwerkhöfen ins Leben gerufen und jetzt - wie bereits berichtet - Reinhard Höppner zum Vorsitzenden berufen. Höppner - wie Taubert in der SPD - war lange Jahre Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt. Die FDP-Landtagsfraktion hat diese Entscheidung, hinter der auch die Landesregierung steht, kritisiert. Die Qualifikation Höppners in dieser Frage erschließe sich nicht, sagte der sozialpolitische Sprecher der FDP-Fraktion Marian Koppe. Für eine fundierte Aufarbeitung wäre aus seiner Sicht die Berufung eines Historikers hilfreicher gewesen. Der liberale Sozialpolitiker hatte bereits im zuständigen Landtagsausschuss eine angemessene Beteiligung der Opferverbände am Arbeitskreis angemahnt. Zudem solle über die wissenschaftliche Aufarbeitung und die Ergebnisse des Arbeitskreises sowie über Möglichkeiten der konkreten Hilfe beziehungsweise Entschädigung der Opfer im Landtag berichtet werden. Mit der Benennung eines ehemaligen Ministerpräsidenten zum Arbeitskreisvorsitzenden sei eine Erwartungshaltung geweckt worden, die sich in den Ergebnissen nun auch umsetzen müsse, so Koppe.